2 AZR 68/24

Einwurf-Einschreiben - Zugang - Anscheinsbeweis

Details

  • Aktenzeichen

    2 AZR 68/24

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2025:300125.U.2AZR68.24.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    30.01.2025

  • Senat

    2. Senat

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 12. Dezember 2023 – 15 Sa 20/23 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten zuletzt noch darüber, ob eine Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 26. Juli 2022 das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgelöst hat.

2

Die Klägerin arbeitete seit Mai 2021 bei der Beklagten. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14. März 2022 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 18. März 2022 Kündigungsschutzklage und wies auf ihre bestehende Schwangerschaft hin. Das Arbeitsgericht stellte später – mit Urteil vom 11. Januar 2023 – fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht aufgelöst wurde.

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Das zuständige Regierungspräsidium erteilte der Beklagten mit Bescheid vom 25. Juli 2022 die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin. Im Rahmen des damals noch erstinstanzlich anhängigen Kündigungsschutzverfahrens berief sich die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 4. November 2022 darauf, sie habe das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 26. Juli 2022 ein weiteres Mal außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. September 2022 gekündigt. Die Klägerin hat den Zugang dieses Kündigungsschreibens bestritten.

4

Die Klägerin hat – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – sinngemäß beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch eine Kündigung der Beklagten vom 26. Juli 2022 beendet wurde.

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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei mit Zugang des Schreibens vom 26. Juli 2022 beendet worden. Die Klägerin habe diese Kündigung nicht innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen. Die Mitarbeiterinnen der Beklagten U und K hätten das Kündigungsschreiben gemeinsam in einen Briefumschlag gesteckt. Danach habe Frau U den Umschlag zur Post gebracht und dort am 26. Juli 2022 um 15:35 Uhr als Einwurf-Einschreiben zur Sendungsnummer RT persönlich aufgegeben. Ausweislich des im Internet abrufbaren sog. Sendungsstatus sei das Schreiben mit der entsprechenden Sendungsnummer der Klägerin am 28. Juli 2022 zugestellt worden. Insoweit bestehe ein Anscheinsbeweis, der durch das pauschale Bestreiten der Klägerin nicht erschüttert werde, auch wenn sie – die Beklagte – wegen des zwischenzeitlichen Ablaufs der Frist, innerhalb derer die Deutsche Post AG die Kopie eines Auslieferungsbelegs erteilt, einen solchen nicht vorlegen könne. Schließlich habe das Landesarbeitsgericht verkannt, dass einige Indizien dafür sprächen, dass das Bestreiten des Zugangs durch die Klägerin wahrheitswidrig sei.

6

Das Arbeitsgericht hat die Klage – soweit in der Revision von Interesse – abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das erstinstanzliche Urteil zu Recht abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch eine Kündigung vom 26. Juli 2022 außerordentlich fristlos oder hilfsweise ordentlich aufgelöst worden ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist sie für den Zugang der Kündigung beweisfällig geblieben.

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I. Eine Kündigung vom 26. Juli 2022 gilt nicht als von Anfang an rechtswirksam, da die Frist des § 4 Satz 1 KSchG erst ab Zugang der schriftlichen Kündigung zu laufen beginnt (vgl. BAG 26. April 2022 – 9 AZR 139/21 – Rn. 14; 6. September 2012 – 2 AZR 858/11 – Rn. 11 f., BAGE 143, 84).

9

II. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte für den von der Klägerin bestrittenen Zugang der Kündigung beweisfällig geblieben ist.

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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 20. Juni 2024 – 2 AZR 213/23 – Rn. 10 mwN) und des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21 – Rn. 16 mwN, BGHZ 234, 316) geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten.

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2. Die Beklagte trägt für den ihr günstigen Umstand des Zugangs des Kündigungsschreibens die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BAG 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 30).

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3. Die Beklagte hat für den von ihr behaupteten Einwurf des Kündigungsschreibens am 28. Juli 2022 in den Hausbriefkasten der Klägerin keinen Beweis angeboten, insbesondere keinen Zeugenbeweis der Person, die den Einwurf vorgenommen haben soll.

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4. Es besteht auch kein Anscheinsbeweis zugunsten der Beklagten, dass ein Zugang des Kündigungsschreibens vom 26. Juli 2022 bei der Klägerin erfolgt ist.

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a) Dabei kann es dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt einen ausreichenden Vortrag dazu gehalten hat, dass sie ein an die Klägerin adressiertes Schreiben bei der Deutschen Post AG eingeliefert hat. Insoweit ist insbesondere nicht ersichtlich, ob sich die Beklagte berühmt, einen Fensterbriefumschlag benutzt zu haben, der dieselbe Adresse wie das vermeintlich zugestellte Kündigungsschreiben hat erkennen lassen, oder ob sie einen fensterlosen Umschlag mit der zutreffenden Anschrift der Klägerin versehen hat.

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b) Jedenfalls genügt der von der Beklagten im vorliegenden Verfahren vorgelegte Einlieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens, aus dem neben dem Datum und der Uhrzeit der Einlieferung die jeweilige Postfiliale und die Sendungsnummer ersichtlich sind, zusammen mit einem von der Beklagten im Internet abgefragten Sendungsstatus („Die Sendung wurde am 28.07.2022 zugestellt.“) nicht für einen Beweis des ersten Anscheins, dass das Schreiben der Klägerin tatsächlich zugegangen ist.

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aa) Die Frage, ob ein Anscheinsbeweis eingreift, unterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht. Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer Tatsache für den Erfolg bei allen Sachverhalten der Fallgruppe immer vorhanden sein muss; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (vgl. BAG 20. Juni 2024 – 2 AZR 213/23 – Rn. 13; BGH 3. Dezember 2024 – VI ZR 18/24 – Rn. 19).

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bb) Der Bundesgerichtshof hat angenommen, dass für den Absender eines Einwurf-Einschreibens bei Vorlage des Einlieferungsbelegs zusammen mit einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs der Beweis des ersten Anscheins streitet, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist, wenn ein näher beschriebenes Verfahren eingehalten wurde (vgl. BGH 11. Mai 2023 – V ZR 203/22 – Rn. 8; 27. September 2016 – II ZR 299/15 – Rn. 33, BGHZ 212, 104). Der Bundesgerichtshof hatte in seinen Entscheidungen ein Zustellverfahren zu beurteilen, bei dem die Ablieferung der Sendung durch deren Einwurf in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers erfolgt ist. Unmittelbar vor dem Einwurf wurde das sog. „Peel-off-Label“ (Abziehetikett), das zur Identifizierung der Sendung dient, von dem zustellenden Postangestellten abgezogen und auf einen vorbereiteten, auf die eingeworfene Sendung bezogenen Auslieferungsbeleg aufgeklebt. Auf diesem Beleg bestätigte der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datumsangabe die Zustellung. Bei Einhaltung dieses Verfahrens sei der Schluss gerechtfertigt, dass die eingelieferte Sendung tatsächlich in den Briefkasten des Empfängers gelangt ist (vgl. BGH 27. September 2016 – II ZR 299/15 – aaO).

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cc) Der Senat muss nicht entscheiden, ob er dieser Rechtsprechung folgt und bei Einhaltung des vorbezeichneten oder eines anderen, von der Deutschen Post AG angewandten Verfahrens vom Vorliegen eines Anscheinsbeweises für den Zugang der im Einschreiben enthaltenen Willenserklärung ausgeht. Es ist weder von der Beklagten vorgetragen noch vom Landesarbeitsgericht festgestellt, welches Verfahren der Deutschen Post AG für die Zustellung des Einwurf-Einschreibens zur Anwendung gekommen ist. Einer hierauf gestützten Zurückverweisung bedarf es indes nicht. Die Beklagte hat den Auslieferungsbeleg für die von ihr am 26. Juli 2022 eingelieferte Postsendung nicht vorgelegt und ist hierzu wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Fristablaufs nicht mehr in der Lage. Die Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs begründen ohne die Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger (vgl. ErfK/Müller-Glöge 25. Aufl. BGB § 620 Rn. 54). Es fehlt an Angaben über die Person des den Einwurf bewirkenden Postbediensteten sowie über weitere Einzelheiten der Zustellung.

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(1) Die Vorlage des Einlieferungsbelegs begründet keine gegenüber einfachen Briefen – bei denen kein Anscheinsbeweis für den Zugang der Sendung besteht (st. Rspr., vgl. BGH 19. Mai 2022 – V ZB 66/21 – Rn. 10; 21. Januar 2009 – VIII ZR 107/08 – Rn. 11) – signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Zugang der Sendung beim gewollten Empfänger des Einwurf-Einschreibens. Da durch die Absendung eines Schreibens nicht der Nachweis seines Zugangs erbracht werden kann, ist der Einlieferungsbeleg für die Frage des Zugangs ohne Bedeutung (vgl. BGH 27. September 2016 – II ZR 299/15 – Rn. 32, BGHZ 212, 104).

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(2) Der Ausdruck des Sendungsstatus, auf dem dieselbe Sendungsnummer wie auf dem Einlieferungsbeleg sowie das Zustelldatum vermerkt sind, bietet ebenfalls keine ausreichende Gewähr für einen Zugang. In diesem Fall lässt sich weder feststellen, wer die Sendung zugestellt hat noch gibt es ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass das vom Bundesgerichtshof beschriebene oder das jeweils gültige Verfahren der Deutschen Post AG für die Zustellung der eingelieferten Postsendung tatsächlich eingehalten wurde. Der Sendungsstatus ist kein Ersatz für den Auslieferungsbeleg. Er sagt nichts darüber aus, ob der Zusteller tatsächlich eine besondere Aufmerksamkeit auf die konkrete Zustellung gerichtet hat, die den Schluss rechtfertigen würde, dass die eingelieferte Sendung in den Briefkasten des Empfängers gelangt ist.

21

(3) Für dieses Ergebnis spricht ferner, dass der von der Beklagten vorgelegte Sendungsstatus weder erkennen lässt, an wen die Zustellung erfolgt sein soll (persönlich an den Empfänger, an eine andere Person in dessen Haushalt oder Einwurf in den Hausbriefkasten), noch zu welcher Uhrzeit, unter welcher Adresse oder zumindest in welchem Zustellbezirk. Würde ein solcher Sendungsstatus, der auch die Person des Zustellers in keiner Weise kenntlich macht, für einen Anscheinsbeweis genügen, hätte der vermeintliche Empfänger der Sendung – anders als bei dem Einwurf eines Schreibens in den Hausbriefkasten durch einen Boten – praktisch keine Möglichkeit, ihn zu erschüttern oder gar einen Gegenbeweis anzutreten. Demgegenüber hatte die Beklagte als Absenderin die Möglichkeit, die Reproduktion eines Auslieferungsbelegs anzufordern. Hierzu bestand innerhalb der von ihr angegebenen Frist von 15 Monaten, in denen die Deutsche Post AG die Kopien speichert, auch genügend Anlass, nachdem die Klägerin bereits erstinstanzlich den Zugang des Kündigungsschreibens bestritten hatte und ausweislich des angefochtenen Berufungsurteils im Urteil des Arbeitsgerichts auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. September 2016 (- II ZR 299/15 – Rn. 33, BGHZ 212, 104) Bezug genommen wurde.

22

(4) Die Ausführungen der Beklagten zum „Vertrauensvorschuss“ eines Sendungsstatus stellen bloße Mutmaßungen und Annahmen dar, die nichts über den konkreten Ablauf des Zustellverfahrens aussagen.

23

dd) Soweit die Beklagte meint, ein Anscheinsbeweis sei aufgrund von Besonderheiten des Falls wegen „vieler positiver Indizien“ (in Bezug auf die fehlende Glaubwürdigkeit der Angaben der Klägerin) gegeben, zeigt sie damit keinen Rechtsfehler im Berufungsurteil auf. Eine konkrete Verfahrensrüge ist damit nicht verbunden. Im Ergebnis setzt die Beklagte lediglich ihre eigene Bewertung an die Stelle der Bewertung durch das Landesarbeitsgericht.

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5. Die Verfahrensrügen der Beklagten hat der Senat geprüft und als nicht durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird abgesehen (§ 564 Satz 1 ZPO).

25

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Cl. Peter    

        

    Wolf