10 AZR 140/24

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge - Gleichheitssatz - Zuschlagshöhe - Differenzierung - unregelmäßige Nachtarbeit - Nachtschichtarbeit - Tarifauslegung - Textil- und Bekleidungsindustrie

Details

  • Aktenzeichen

    10 AZR 140/24

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2025:220125.U.10AZR140.24.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    22.01.2025

  • Senat

    10. Senat

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 2024 – 1 Sa 283/20 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge.

2

Die Klägerin leistete im streitgegenständlichen Zeitraum Früh-, Spät- und Nachtschichtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit bei der Beklagten, einem Unternehmen der Textilindustrie. Im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Betriebe der Textilindustrie, geschlossen zwischen dem Verband der Nord-Ostdeutschen Textilund Bekleidungsindustrie e. V., Chemnitz, und der Industriegewerkschaft Metall vom 12. Oktober 2001 (im Folgenden MTV).

3

Der MTV enthält unter anderem folgende Regelungen:

        

„§ 4   

        

Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

        

1.    

Mehrarbeit liegt vor, wenn und soweit die in § 2, Ziffer 1 und 7 festgelegte regelmäßige Arbeitszeit überschritten wird. …

        

4.    

Nachtarbeit ist die in der Zeit zwischen 20 und 6 Uhr geleistete Arbeit.

        

…     

        
        

6.    

Arbeitnehmer sind zur Leistung von Mehr-, Schicht- und Nachtarbeit verpflichtet, sofern nicht durch Gesetz oder nachstehend etwas anderes bestimmt ist. …

        

§ 5     

        

Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

        

…     

        
        

2.    

Nachtarbeitszuschlag*)

                 

Für jede Arbeitsstunde, die während der Nachtarbeitszeit entsprechend § 4, Ziffer 4, geleistet wird, ist ein Zuschlag auf der Grundlage entsprechend § 5, Ziffer 7, in folgender Höhe zu zahlen:

                 

a)    

für unregelmäßige Nachtarbeit

50 %   

                 

b)    

für die Spät- und Frühschicht

15 %   

                 

c)    

für die Nachtschicht

25 %   

                 

d)    

für die ständige Nachtschicht

                          

zwischen 22 und 24 Uhr

25 %   

                          

zwischen 0 und 4 Uhr

35 %   

                          

zwischen 4 und 6 Uhr

25 %   

                 

e)    

…     

        
                          
        

*)    

Erläuterung:

        

Soweit die Nachtarbeit nicht den Fallen b) – e) zuzuordnen ist, ist der Zuschlag nach a) (unregelmäßige Nachtarbeit) zu zahlen:

        

Für in die Nachtstunden hineinreichende Mehrarbeit eines in Normalarbeit oder Schichtarbeit tätigen Arbeitnehmers

        

oder für Arbeit während der Nachtzeit, die nicht gleichzeitig Mehrarbeit ist, bis zum Ablauf von 2 Wochen nach Ankündigung der Nachtarbeit.

        

…     

        
        

6.    

Die Vergütung für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ist spätestens bis Ende des Monats auszuzahlen, der auf den Monat folgt, in dem diese Arbeit geleistet wurde.

        

7.    

Der Berechnung der Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit wird der Durchschnittsverdienst zugrunde gelegt.“

4

Die Klägerin verrichtete von März bis Mai und von Juli bis November 2019 sowie von Januar bis März 2020 Früh-, Spät- und Nachtschichtarbeit im tarifvertraglichen Sinn, für die sie einen auf der Grundlage des Durchschnittsverdienstes (§ 5 Nr. 2 Satz 1, Nr. 7 MTV) berechneten Zuschlag von 15 % für die in der Früh- und Spätschicht versehene Nachtarbeit (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV) sowie einen Zuschlag von 25 % für die in der Nachtschicht erbrachte Nachtarbeit (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c MTV) erhielt.

5

Mit der Klage begehrt die Klägerin – nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung – für die nach 20:00 Uhr in Früh-, Spät- und Nachtschicht geleisteten Arbeitsstunden die Zahlung weiterer Zuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem für Nachtschichtarbeit in Höhe von 25 % bzw. für Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht in Höhe von 15 % gezahlten tariflichen Zuschlag (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c bzw. Buchst. b MTV) und dem tariflichen Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit in Höhe von 50 % (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV).

6

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Anspruch ergebe sich aus § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV iVm. dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der tariflichen Regelung erhielten Arbeitnehmer für Nachtarbeit nach 20:00 Uhr – trotz Vergleichbarkeit beider Arbeitnehmergruppen – geringere Zuschläge als Arbeitnehmer, die unregelmäßige Nachtarbeit leisteten, ohne dass für diese Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund vorliege. Der vorrangig zu beachtende Gesundheitsschutz rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht; andere Aspekte als dieser könnten bei Nachtarbeit höhere Zuschläge nicht rechtfertigen. Zudem sei die Teilhabe am sozialen Leben auch bei Schichtarbeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr deutlich erschwert. Planbarkeit könne sowohl bei Schichtarbeit als auch bei unregelmäßiger Nachtarbeit vorliegen oder fehlen. Der Regelung des Zuschlags für unregelmäßige Nachtarbeit unterfielen unter Berücksichtigung der Erläuterung zu § 5 Nr. 2 MTV auch regelmäßige Formen der Nachtarbeit. Der Zweck, soziale Belastungen durch den erhöhten Zuschlag auszugleichen, sei dem Tarifvertrag nicht zu entnehmen. Zuschläge von nur 15 % für Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht bzw. 25 % für Nachtschichtarbeit seien nicht vom Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckt. Er verteuere die Nachtarbeit nicht ausreichend. Zweifel bestünden insbesondere mit Blick auf den Zuschlag von 15 % für Nachtarbeit, die in der Früh- oder Spätschicht anfällt. Im Tarifvertrag sei die zeitliche Lage der einzelnen Schichten nicht vorgegeben. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Zuschlagsregelung lediglich Randzeiten der tariflich definierten Nachtzeit erfasse. Außerdem sei der Gestaltungsspielraum mit Blick darauf eingeschränkt, dass tarifvertragliche Regelungen für Nachtarbeitszuschläge der Durchführung von Unionsrecht iSv. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dienten. Aufgrund der sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung sei eine Anpassung „nach oben“ vorzunehmen. Dies gelte auch dann, wenn bei der Beklagten kein Arbeitnehmer einen Zuschlag von 50 % erhielte, weil es auf die im MTV angelegte Gruppenbildung ankomme.

7

Die Klägerin hat – soweit für die Revision von Interesse – beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie

        

1.    

447,28 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7. Oktober 2019,

        

2.    

weitere 519,85 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

        

3.    

weitere 201,65 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und

        

4.    

weitere 415,26 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit

        

zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für unregelmäßige Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit verstießen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Gruppen der Arbeitnehmer, die Nachtschichtarbeit und unregelmäßige Nachtarbeit verrichteten, seien schon nicht vergleichbar. Im Betrieb der Beklagten gebe es keinen Arbeitnehmer, der den Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit in Höhe von 50 % erhalte. Zwischen Nachtschichtarbeit und unregelmäßiger Nachtarbeit bestehe zudem ein Regel-Ausnahmeverhältnis, weil Nachtschichtarbeit sehr viel häufiger anfalle als unregelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit; diese sei ein absoluter Ausnahmefall und falle bei der Beklagten ohnehin nicht an. Die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge überschreite auch nicht den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien. Der Zuschlag solle nicht nur die Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen, sondern kompensieren, dass die betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit verlören, über ihre Freizeit zu disponieren. Arbeitgeber sollten von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abgehalten werden. Außerdem sei die Teilhabe am sozialen Leben, etwa die Organisation der Kinderbetreuung, bei unregelmäßiger Nachtarbeit wesentlich schwerer zu organisieren. Zudem seien die tariflich vorgesehenen Freischichten und die bezahlten Pausen zu berücksichtigen. Schließlich sei eine Anpassung „nach oben“ abzulehnen.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Zahlungsansprüche in leicht reduziertem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, dass die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum keine weiteren Zuschläge für die während der tariflichen Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden verlangen kann.

11

I. Die Revision bleibt – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht ohne Erfolg, weil bereits die Berufung der Klägerin unzulässig gewesen wäre (vgl. zu den Anforderungen die st. Rspr., zB BAG 23. Oktober 2024 – 10 AZR 6/24 – Rn. 12 mwN). Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin ihre Berufung entsprechend den Vorgaben des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO begründet hat.

12

II. Auch im Übrigen ist die Revision unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum keine höheren Nachtarbeitszuschläge für die während der tariflichen Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden verlangen kann. Ein solcher Anspruch steht ihr weder unmittelbar aus dem MTV noch wegen eines Verstoßes der Bestimmungen des MTV gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder Unionsrecht zu.

13

1. Ein Anspruch ergibt sich nicht unmittelbar aus den Regelungen des MTV.

14

a) Der MTV gilt im Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

15

b) Nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c MTV ist für Nachtschichtarbeit ein Zuschlag von 25 % des aus dem Durchschnittsverdienst zu ermittelnden Stundenentgelts (§ 5 Nr. 2 Satz 1, Nr. 7 MTV) zu zahlen, nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV für Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht ein Zuschlag von 15 %. Nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV ist für unregelmäßige Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 % des Stundenentgelts zu zahlen. Da es sich bei der von der Klägerin geleisteten Arbeit um Nachtschichtarbeit iSv. § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c MTV sowie um Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht iSv. § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV handelt, sind die tariflichen Voraussetzungen des Anspruchs auf einen Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV nicht erfüllt. Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.

16

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % des Stundenentgelts wegen eines Verstoßes der tariflichen Differenzierung gegen Art. 3 Abs. 1 GG und einer daraus folgenden Anpassung „nach oben“.

17

a) Die Tarifvertragsparteien haben mit § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV, der für Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht einen Zuschlag in Höhe von 15 % auf das Stundenentgelt vorsieht, und mit § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c MTV, der für Nachtschichtarbeit einen Zuschlag in Höhe von 25 % auf das Stundenentgelt vorsieht, für Beschäftigte, die – wie die Klägerin – regelmäßig Nachtarbeit leisten, Regelungen geschaffen, die den Zwecken des § 6 Abs. 5 ArbZG gerecht werden und die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren. Die von der Klägerin in Bezug auf den Zuschlag nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV gehegten Zweifel sind unbegründet. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein tariflicher Zuschlag in Höhe von 15 % an der unteren Grenze einer angemessenen Kompensation liegt, wenn es sich um Arbeitsleistung handelt, die einer normalen Belastung durch die Nachtarbeit unterliegt und bei der keine besonderen Umstände vorliegen, die auf eine geringere Belastung schließen lassen (BAG 22. Februar 2023 – 10 AZR 397/20 – Rn. 32). Daran hält der Senat auch vor dem Hintergrund fest, dass der in der vorstehenden Entscheidung zu beurteilende Tarifvertrag eine Regelung beinhaltet, wonach sich der Zuschlag bei Wechselschichtarbeit, die regelmäßig länger als 14 Tage überwiegend in der tariflich definierten Nachtzeit zu leisten ist, auf 20 % erhöht. Anhaltspunkte, dass es sich bei der Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht iSd. im Streitfall zugrunde liegenden MTV nicht um Arbeitsleistungen handelte, mit denen eine normale Belastung einhergeht, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Zuschlag nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV Zeiten abdeckt, die nicht vollständig in die tariflich vorgesehene Nachtzeit (§ 4 Nr. 4 MTV) fallen. Das ergibt sich aus dem Wortlaut und der Systematik des MTV, der mit § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b einerseits sowie Buchst. c und Buchst. d andererseits die Arbeit in der Früh- und Spätschicht von der in der Nachtschicht abgrenzt. Auch ohne dass der MTV die zeitliche Lage der Schichten vorgibt, ist mit Blick auf die herangezogenen Begriffe, für deren Definition auf den üblichen Sprachgebrauch abzustellen ist (st. Rspr., zB BAG 23. Oktober 2024 – 10 AZR 6/24 – Rn. 31 mwN), und die vorgenommene Differenzierung davon auszugehen, dass die Arbeit in der Früh- und Spätschicht jedenfalls nicht insgesamt in die tariflich definierte Nachtzeit fällt. Anderenfalls handelte es sich um Arbeit in der Nachtschicht. Mit Blick darauf konnten die Tarifvertragsparteien von einer geringeren Belastung durch diese Form der Schichtarbeit in der gesetzlichen Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) ausgehen und den Zuschlag hierfür niedriger ansetzen. Damit werden die gesetzlichen Ausgleichsansprüche für die streitgegenständlichen Nachtarbeitszeiten verdrängt (vgl. zum Prüfungsmaßstab und zu den Anforderungen die st. Rspr., zB BAG 23. August 2023 – 10 AZR 384/20 – Rn. 21 ff.; 22. März 2023 – 10 AZR 553/20 – Rn. 22 ff.; 22. Februar 2023 – 10 AZR 332/20 – Rn. 22 ff., BAGE 180, 222).

18

b) Die Unterscheidung bei der Höhe der Zuschläge für Nachtschichtarbeit sowie Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht einerseits und für unregelmäßige Nachtarbeit andererseits in § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c, Buchst. b und Buchst. a MTV verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. zum Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien und zur zurückgenommenen Prüfungsdichte der Gerichte die st. Rspr., zB BAG 23. August 2023 – 10 AZR 384/20 – Rn. 18 ff. mwN). Arbeitnehmer, die Nachtschichtarbeit sowie Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht leisten, sind zwar – entgegen der Ansicht der Beklagten – mit Arbeitnehmern vergleichbar, die unregelmäßige Nachtarbeit erbringen (vgl. zu den Voraussetzungen der Vergleichbarkeit BAG 23. August 2023 – 10 AZR 384/20 – Rn. 34; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 50 ff. mwN, BAGE 173, 205). Sie werden aber gegenüber diesen Arbeitnehmern nicht gleichheitswidrig schlechter gestellt. Für die Ungleichbehandlung bei der Höhe des Nachtarbeitszuschlags gibt es einen aus dem MTV erkennbaren sachlichen Grund, der diese rechtfertigt (vgl. zu den Anforderungen die st. Rspr., zB BAG 23. August 2023 – 10 AZR 384/20 – Rn. 41 ff. mwN).

19

aa) Die unterschiedlich hohen Zuschläge für Nachtarbeit in § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c, Buchst. b und Buchst. a MTV führen dazu, dass zwei Gruppen von Arbeitnehmern, die nachts arbeiten, ungleich behandelt werden. Nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c MTV erhalten Arbeitnehmer für Nachtschichtarbeit einen Zuschlag von 25 % des Stundenentgelts, nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV für Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht einen Zuschlag von 15 %, während der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV 50 % beträgt. Das führt zu einer Differenz in Höhe von 25 bzw. 35 Prozentpunkten. Dahinstehen kann, ob sonstige tarifliche Regelungen zu einer Verringerung dieser Differenz führen. Denn die Ungleichbehandlung bei der Höhe der Zuschläge ist unabhängig davon gerechtfertigt.

20

bb) Die unterschiedliche Behandlung bei den Zuschlägen für Nachtschichtarbeit (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c MTV) bzw. Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV) einerseits und für unregelmäßige Nachtarbeit (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV) andererseits ist sachlich gerechtfertigt. Ein Sachgrund ergibt sich zwar nicht aus dem mit den Zuschlägen erkennbar verfolgten Zweck des Gesundheitsschutzes (vgl. hierzu im Einzelnen BAG 15. November 2023 – 10 AZR 163/23 – Rn. 44 ff.). Die Ungleichbehandlung ist aber durch einen weiteren Zweck gerechtfertigt, der im MTV ausreichend Niederschlag gefunden hat. Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien soll mit dem höheren Zuschlag auch die schlechtere Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Regelungen (vgl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung die st. Rspr., zB BAG 5. März 2024 – 9 AZR 46/23 – Rn. 25 mwN; 15. November 2023 – 10 AZR 163/23 – Rn. 41; 16. November 2022 – 10 AZR 210/19 – Rn. 13 mwN, BAGE 179, 271).

21

(1) § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV benennt nicht ausdrücklich, welchem Zweck die höheren Zuschläge für unregelmäßige Nachtarbeit dienen.

22

(2) Durch die im Zusammenhang mit der Nachtarbeit erfolgende Gegenüberstellung der Begriffe „Spät- und Frühschicht“ (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV) sowie „(ständige) Nachtschicht“ (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c und Buchst. d MTV) einerseits und „unregelmäßige Nachtarbeit“ (§ 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV) andererseits lässt sich der damit verbundene weitere Zweck aber aus der Tarifnorm erkennen.

23

(a) Nachtarbeit in der Früh- und Spätschicht iSv. § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b MTV setzt ebenso wie Nachtschichtarbeit iSv. § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c MTV und ständige Nachtschichtarbeit iSv. § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. d MTV eine Regelhaftigkeit voraus, die bei unregelmäßiger Nachtarbeit iSv. § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV nicht gegeben ist. Der Begriff der Schichtarbeit wird im Tarifvertrag nicht definiert, so dass der Begriff in seiner allgemeinen arbeitsrechtlichen Bedeutung heranzuziehen ist. Danach ist wesentlich, dass eine bestimmte Arbeitsaufgabe über einen erheblich längeren Zeitraum als die wirkliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers hinaus anfällt und diese daher von mehreren Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen in einer geregelten zeitlichen Reihenfolge, teilweise auch außerhalb der allgemein üblichen Arbeitszeit, erbracht wird. Die Arbeit muss dabei nach einem Schichtplan erfolgen, wobei nicht erforderlich ist, dass dieser vom Arbeitgeber vorgegeben ist (BAG 22. Februar 2023 – 10 AZR 379/20 – Rn. 54 mwN).

24

(b) „Regelmäßig“ bedeutet „einer bestimmten festen Ordnung, Regelung (die besonders durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist) entsprechend, ihr folgend“ (www.duden.de Stichwort „regelmäßig“, zuletzt abgerufen am 21. Januar 2025). „Unregelmäßig“ bedeutet das Gegenteil, folgt gerade keiner Regel und erfolgt in ungleichen Abständen (www.duden.de Stichwort „unregelmäßig“, zuletzt abgerufen am 21. Januar 2025; vgl. zu diesem Begriffspaar BAG 23. Oktober 2024 – 10 AZR 6/24 – Rn. 27; 22. Februar 2023 – 10 AZR 332/20 – Rn. 53 ff. mwN, BAGE 180, 222). Bei typisierender Betrachtung folgt hieraus, dass regelmäßige Nachtarbeit, die in zeitlich festgelegten Nachtschichten sowie in der Früh- und Spätschicht geleistet wird, besser vorhersehbar und planbar ist als unregelmäßige Nachtarbeit. Das gilt unabhängig davon, wie oft regelmäßige Nachtarbeit geleistet wird. Typischerweise werden bei dieser Art der Nachtarbeit (Schicht-)Pläne mit zeitlichem Vorlauf aufgestellt, die einem gewissen Rhythmus folgen. Deshalb ist es auch besser möglich, dass der Arbeitnehmer sich auf diese regelmäßig geschuldete Arbeitsleistung einstellt und sein privates Umfeld ggf. darauf ausrichtet. Unregelmäßige Nachtarbeit richtet sich dagegen nicht nach festen Regeln, sondern folgt üblicherweise einem weniger vorhersehbaren Bedarf (BAG 22. Februar 2023 – 10 AZR 379/20 – Rn. 55 mwN).

25

(c) Mit Blick auf die Gegenüberstellung der Begriffe „Spät- und Frühschicht“ sowie „Nachtschicht“ einerseits und „unregelmäßige Nachtarbeit“ andererseits kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien angenommen haben, unregelmäßige Nachtarbeit sei aufgrund der typischerweise gegebenen Unvorhersehbarkeit schlechter planbar und mit ihr seien neben der gesundheitlichen Belastung durch die Nachtarbeit weitere Belastungen verbunden. Wird unregelmäßige Nachtarbeit geleistet, werden diese weiteren Belastungen mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag finanziell kompensiert. Dies entspricht dem langjährigen Begriffsverständnis in der Rechtsprechung zur Differenzierung bei Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige bzw. planbare und unplanbare Nachtarbeit auch bereits vor Abschluss des hier maßgeblichen MTV. Dieses ging dahin, „unregelmäßige“ Nachtarbeit sei weniger vorhersehbar und die ungeplante und nicht vorhersehbare Heranziehung bringe eine weitere, anders gelagerte Belastung – nicht unbedingt gesundheitlicher Art – mit sich (BAG 22. Februar 2023 – 10 AZR 379/20 – Rn. 56 mwN; vgl. zur Fortführung eines bestimmten Begriffs durch die Tarifvertragsparteien zB BAG 24. März 2010 – 10 AZR 58/09 – Rn. 22, BAGE 134, 34).

26

(d) Dass die Tarifvertragsparteien mit der Zuschlagsregelung für unregelmäßige Nachtarbeit die schlechtere Planbarkeit finanziell ausgleichen wollten, wird auch unter Berücksichtigung der Erläuterung zu § 5 Nr. 2 MTV deutlich. Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich aus ihr nicht, dass § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV als Auffangtatbestand dient, der alle nicht in § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a bis e MTV geregelten Formen der Nachtarbeit erfassen soll.

27

(aa) Dem widerspricht schon die Begrifflichkeit „unregelmäßige Nachtarbeit“, die wie vorstehend ausgeführt zu definieren ist (Rn. 24). Hätten die Tarifvertragsparteien einen Auffangtatbestand schaffen wollen, der alle übrigen und damit auch regelmäßige Formen der Nachtarbeit erfasst, hätte es nahegelegen, eine zB mit „sonstige Nachtarbeit“ bezeichnete Zuschlagsregelung zu schaffen (vgl. zu diesem Begriff BAG 22. März 2023 – 10 AZR 600/20 – Rn. 54 ff.).

28

(bb) Auch aus der Erläuterung zu § 5 Nr. 2 MTV selbst ergibt sich, dass mit der Zuschlagsregelung nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV kein Auffangtatbestand geschaffen werde sollte, sondern es den Tarifvertragsparteien darum ging, die schlechtere Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit auszugleichen.

29

(aaa) Dem Wortlaut der Erläuterung lässt sich entnehmen, dass für bestimmte Formen der Nachtarbeit, soweit sie nicht den Bestimmungen der § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a bis e MTV zuzuordnen sind, ein Zuschlag nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV zu zahlen ist. Die Erläuterung weist nicht alle ungeregelten Formen der Nachtarbeit dem Tatbestand der unregelmäßigen Nachtarbeit zu, sondern nur die beiden ausdrücklich angeführten Fallgestaltungen. So ist der Zuschlag nach § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV, sofern nicht einer der ausdrücklichen Zuschlagstatbestände greift, „für“ die genannten Konstellationen zu zahlen. Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich bei den beiden genannten Fallgestaltungen nicht um eine nur beispielhafte Aufzählung. Hierfür findet sich kein Niederschlag im MTV.

30

(bbb) Auch mit Blick auf die beiden in der Erläuterung genannten Konstellationen wird deutlich, dass mit § 5 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a MTV nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die schlechtere Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden soll.

31

(aaaa) Soweit der Zuschlag von 50 % für unregelmäßige Nachtarbeit zu zahlen ist, wenn ein in Normal- oder Schichtarbeit tätiger Arbeitnehmer zur Nachtzeit Mehrarbeit erbringt, handelt es sich um unregelmäßige Nachtarbeit. Denn Mehrarbeit ist nach der Definition in § 4 Nr. 1 Satz 1 MTV gegeben, wenn und soweit die in § 2 Nr. 1 und 7 MTV festgelegte regelmäßige Arbeitszeit überschritten wird. Bei typisierender Betrachtungsweise stellt Mehrarbeit damit eine Ausnahme vom Normalfall dar und steht für einen üblicherweise weniger vorhersehbaren Bedarf. Dem steht nicht entgegen, dass Arbeitnehmer nach § 4 Nr. 6 Satz 1 MTV verpflichtet sind, Mehrarbeit zu leisten. Dies betrifft die grundsätzliche Befugnis des Arbeitgebers, Mehrarbeit anzuordnen, nicht aber die Frage, ob es sich dabei um eine regelmäßige Form der Arbeitsleistung handelt. Daher verfängt das von der Klägerin gewählte Beispiel nicht, dass die erste der in der Erläuterung genannte Fallgestaltung gegeben sei, wenn ein Arbeitnehmer regelmäßig einmal wöchentlich zur Nachtzeit eingesetzt wird, indem er besondere Abschlussarbeiten nach der letzten Schicht erbringt.

32

(bbbb) Auch die zweite in der Erläuterung angeführte Konstellation regelt eine Form schlechter planbarer Nachtarbeit. Erfasst wird Nachtarbeit, die nicht Mehrarbeit ist, aber innerhalb von zwei Wochen nach ihrer Ankündigung zu leisten ist. Die Tarifvertragsparteien haben damit eine Ankündigungsfrist von zwei Wochen bestimmt und zum Ausdruck gebracht, dass eine hinreichende Planbarkeit von Nachtarbeit nur gegeben ist, wenn eine Vorlaufzeit von zwei Wochen gewahrt ist. Diese Festlegung ist vom Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien hinsichtlich der inhaltlichen Ausformung ihrer normsetzenden Regelungen gedeckt. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind (BAG 24. Februar 2021 – 10 AZR 108/19 – Rn. 28 mwN).

33

(3) Der Zweck des Ausgleichs der schlechteren Planbarkeit der unregelmäßigen Nachtarbeit vermag die Ungleichbehandlung bei der Zuschlagshöhe zu rechtfertigen. Es handelt sich um einen sachlich vertretbaren Grund. Den Tarifvertragsparteien steht es im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie frei, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dies gilt etwa – wie vorliegend – für den Zweck, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze auszugleichen. Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative nicht gehindert, tatsächliche Unterschiede hinsichtlich der Belastungen durch Nachtschichtarbeit und sonstige Nachtarbeit anzunehmen. Dabei ist unerheblich, dass mit der tariflichen Zuschlagsregelung des MTV mehrere Zwecke gebündelt verfolgt werden und wie der weitere Zweck von den Tarifvertragsparteien finanziell bewertet wird (st. Rspr., zB BAG 23. Oktober 2024 – 10 AZR 6/24 – Rn. 32 mwN).

34

3. Die Klägerin hat schließlich auch keinen Anspruch auf den höheren Nachtarbeitszuschlag, weil die tarifvertragliche Differenzierung zwischen der als regelmäßig zu wertenden Nachtarbeit in der Schicht und unregelmäßiger Nachtarbeit gegen Art. 20 und 21 GRC verstieße. Der EuGH, dem nach Art. 267 AEUV die Aufgabe der verbindlichen Auslegung von Richtlinien zugewiesen ist, hat auf die Vorlagen des Senats vom 9. Dezember 2020 (- 10 AZR 332/20 (A) – BAGE 173, 165 und – 10 AZR 333/20 (A) -) entschieden, dass mit einer tarifvertraglichen Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Vergütungszuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, die Richtlinie 2003/88/EG nicht iSv. Art. 51 Abs. 1 GRC durchgeführt wird (vgl. EuGH 7. Juli 2022 – C-257/21 und C-258/21 – [Coca-Cola European Partners Deutschland] Rn. 45 ff.). Damit kommen die Bestimmungen der GRC im Streitfall nicht zum Tragen.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Günther-Gräff    

        

    Nowak    

        

    Pessinger    

        

        

        

    Scheck    

        

    Satl