3 AZR 179/23

Betriebliche Altersversorgung - entgegenstehende Rechtskraft

Details

  • Aktenzeichen

    3 AZR 179/23

  • ECLI

    ECLI:DE:BAG:2024:200824.U.3AZR179.23.0

  • Art

    Urteil

  • Datum

    20.08.2024

  • Senat

    3. Senat

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Mai 2023 – 3 Sa 287/21 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagten der Klägerin über die von einer Zusatzversorgungskasse gezahlte Betriebsrente hinaus weitere Leistungen der betrieblichen Altersversorgung schulden.

2

Die am 12. April 1942 geborene Klägerin war seit dem 1. September 1988 – zunächst auf Grundlage des Arbeitsvertrags für kirchliche Angestellte vom 8. November 1988 – als Sachbearbeiterin beim Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeindeverband D, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Bereich der zu 1. beklagten Landeskirche, beschäftigt. Verbandsangehörige Kirchgemeinde war ua. die Beklagte zu 2. Unter dem 2. Dezember 1993 vereinbarten die Klägerin und der Evangelisch-Lutherische Kirchgemeindeverband D einen neuen „Dienstvertrag“, der nach einem auf das Schriftstück maschinenschriftlich aufgesetzten Zusatz in „Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses“ und „im Sinne eines Nachtrages“ zum bisherigen Arbeitsvertrag gelten sollte. Nach § 1 dieses Dienstvertrags war die Klägerin seit dem 1. September 1988 als Sachbearbeiterin und nichtvollbeschäftigte Mitarbeiterin eingestellt. Nach § 5 des Dienstvertrags wurde die zusätzliche Altersversorgung nach dem bei der Beklagten zu 1. geltenden Recht gewährt. Zu diesem Zeitpunkt bestimmten sich die Versorgungsansprüche nach der mit Wirkung zum 1. Juli 1991 in Kraft getretenen „Verordnung über die Gewährung eines kirchlichen Treuegeldes an kirchliche Angestellte und Arbeiter im Ruhestand und ihrer Witwen(Witwer) (Treuegeld-Verordnung)“ des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamts Sachsen vom 11. Juni 1991 (ABl. S. A 58) in der zum 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Fassung der „Zweiten Verordnung zur Änderung der Treuegeld-Verordnung vom 11. Juni 1991“ vom 17. Juni 1993 (ABl. S. A 86). Mit Wirkung vom 1. Juli 1994 trat die „Verordnung über die Treuegeldgewährung an kirchliche Mitarbeiter als Kirchliche Altersversorgung (VKAV)“ vom 7. Juni 1994 (ABl. S. A 159) in Kraft (im Folgenden VKAV 1994). Die VKAV 1994 bestimmt auszugsweise:

        

§ 1   

        

Geltungsbereich

        

(1) Diese Verordnung gilt für die privatrechtlich beschäftigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens.

        

(2) Kirchliche Altersversorgung erhalten als Leistungsberechtigte:

        

a)    

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, deren Dienstverhältnisse unter den Geltungsbereich der Kirchlichen Dienstvertragsordnung (KDVO) der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vom 16. Juli 1992 in der jeweils geltenden Fassung fallen, sowie

        

…       

        
        

§ 2     

        

Gesamtversorgung, Beitragserhebung

        

(1) Kirchliche Altersversorgung wird im Rahmen einer Gesamtversorgung als zusätzliche Leistung zu den Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung in der Höhe gewährt, in der die Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung hinter der sich nach dieser Ordnung ergebenden Gesamtversorgung im Einzelfall zurückbleiben.

        

…       

        

§ 3     

        

Anspruchsvoraussetzungen bei Bezug von Vollrente wegen Alters

        

Kirchliche Altersversorgung wird gewährt, wenn der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin eine mindestens zehnjährige ununterbrochene Dienstzeit im kirchlichen Dienst (anspruchsbegründende Dienstzeit) nachweist und eine Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht.

        

§ 4     

        

Gesamtversorgungsfähige Zeit

        

Für die Gesamtversorgung werden als Zeiten berücksichtigt:

        

a)    

die kirchlichen Dienstzeiten nach § 5 und

        

b)    

die Erhöhungszeit nach § 6.

        

§ 5     

        

Kirchliche Dienstzeiten

        

(1) Als kirchliche Dienstzeiten gem. § 4 Buchst. a) zählen die Zeiten einer beruflichen Beschäftigung:

        

a)    

bei den Kirchgemeinden, Kirchenbezirken und Gliedkirchen sowie sonstigen kirchlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen innerhalb des Gebietes des ehemaligen Bundes der Evangelischen Kirchen,

        

…       

        
        

(3) Dienstzeiten vor dem 01.10.1992 sind nur anzurechnen, wenn sie mindestens 50 v. H. der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters oder einer vollbeschäftigten Mitarbeiterin umfaßt haben. Nach dem 01.10.1992 zurückgelegte Dienstzeiten werden berücksichtigt, sofern die Geringfügigkeitsgrenze nach § 8 SGB IV überschritten wurde.

        

…       

        

§ 8     

        

Höhe der Gesamtversorgung

        

(1) Die Gesamtversorgung beträgt bei einer zehnjährigen kirchlichen Dienstzeit 18,75 v.H. des Gesamtversorgungsstufenwerts (Grundbetrag) und steigt für jedes weitere gesamtversorgungsfähige Jahr um 1,875 v.H. des Gesamtversorgungsstufenwerts bis zu einer Höchstgrenze von 40 gesamtversorgungsfähigen Jahren.

        

(2) Nichtvollbeschäftigte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erhalten die Gesamtversorgung in der Höhe, die dem Anteil ihrer vertraglich vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit an der eines vollbeschäftigten Mitarbeiters oder einer vollbeschäftigten Mitarbeiterin entspricht. Hat sich die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit während des kirchlichen Dienstes verändert, ist der Durchschnittsanteil an der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters oder einer vollbeschäftigten Mitarbeiterin maßgeblich (Zeit-zu-Zeitanrechnung).

        

…       

        

§ 9     

        

Anpassung der Kirchlichen Altersversorgung

        

Das Landeskirchenamt hat alle drei Jahre eine Anpassung der Leistungen aus der Kirchlichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange der Leistungsberechtigten und die finanzielle Entwicklung der Landeskirche bzw. der zahlungsverpflichteten kirchlichen Körperschaften zu berücksichtigen.

        

§ 10   

        

Mindestversorgung

        

Als Mindestversorgung erhalten Leistungsberechtigte den Grundbetrag von 100,– DM monatlich bei 10 Jahren und 10,– DM monatlich für jedes weitere Jahr anspruchsbegründender Dienstzeit gemäß §§ 3 und 5 dieser Verordnung. …

        

§ 11   

        

Beginn und Ende der Leistungen

        

(1) Der Anspruch auf Kirchliche Altersversorgung entsteht mit dem Zeitpunkt, von dem an Vollrente wegen Alters, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente zusteht. …

        

…       

        

§ 23   

        

Inkrafttreten

        

(1) Diese Verordnung tritt am 01. Juli 1994 in Kraft.

        

(2) Gleichzeitig tritt die Verordnung über die Gewährung eines kirchlichen Treuegeldes an kirchliche Angestellte und Arbeiter im Ruhestand und ihrer Witwen (Witwer) (Treuegeld-Verordnung) vom 11. Juni 1991 (ABl. S. A 58) in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Treuegeld-Verordnung vom 17. Juni 1993 (ABl. S. A 86) außer Kraft.“

3

Die betriebliche Altersversorgung bei der Beklagten zu 1. wurde durch die „Ordnung über die Kirchliche Altersversorgung (KAV)“ vom 26. November 1996 (ABl. S. A 270) mit Wirkung zum 1. Januar 1997 geändert (im Folgenden KAV 1997). Die KAV 1997 sah für die in ihrem § 1 Abs. 2 aufgeführten Arbeitnehmer weiterhin die Gewährung einer Gesamtversorgung vor, ua. nach § 1 Abs. 2 Buchst. a für Mitarbeiter, die bis einschließlich 31. Dezember 1996 das 50. Lebensjahr und eine ununterbrochene kirchliche Dienstzeit von mindestens 10 Dienstjahren, aber bis einschließlich 30. November 1996 noch nicht das 60. Lebensjahr vollendet haben. Zu diesen zählte die Klägerin aufgrund ihrer zu diesem Zeitpunkt erst gut achtjährigen Dienstzeit nicht. Daneben regelt § 20 KAV 1997, dass die Rentenzahlungen jeweils zum 1. Juli eines Jahres um ein Prozent erhöht werden und sich die Gesamtversorgungsstufen bei allgemeinen Rentenerhöhungen jeweils um den Prozentsatz erhöhen, um den sich die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhöhen. Nach § 24 Satz 2 KAV 1997 trat die VKAV 1994 am 1. Januar 1997 außer Kraft.

4

Ebenfalls Ende des Jahres 1996 beschloss die Landessynode der zu 1. beklagten Landeskirche das „Kirchengesetz über die Zusatzversorgung der kirchlichen Mitarbeiter im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Zusatzversorgungsgesetz – ZVG)“ vom 21. November 1996 (ABl. S. A 244) (im Folgenden ZVG 1997). Das zum 1. Januar 1997 in Kraft getretene ZVG 1997 bestimmt ua.:

        

„§ 1   

        

(1) Mitarbeiter, die nach dem 31. Dezember 1996 zu der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, einer ihrer Kirchgemeinden, Kirchgemeindeverbände, Kirchenbezirke oder sonstigen Körperschaften in einem privatrechtlichen Anstellungs- oder Ausbildungsverhältnis stehen, erhalten unter der in § 3 genannten Voraussetzung eine zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe der Bestimmungen der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse Darmstadt.

        

…       

        

§ 2     

        

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens tritt für sich, ihre Kirchgemeinden, Kirchgemeindeverbände, Kirchenbezirke und sonstige Körperschaften der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse Darmstadt gemäß der zwischen ihr und der Zusatzversorgungskasse geschlossenen Beteiligungsvereinbarung bei.

                 
        

§ 3     

        

Die kirchlichen Anstellungsträger gemäß § 1 sind verpflichtet, ihre Mitarbeiter, soweit sie der Zusatzversorgungspflicht gemäß der Satzung der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse Darmstadt unterliegen, bei dieser Kasse zur Zusatzversorgung anzumelden und die jeweilige Umlage zu zahlen.

        

…       

        

§ 5     

        

Die landeskirchlichen Vorschriften über eine Treuegeldgewährung an kirchliche Mitarbeiter bleiben unberührt.“

5

Arbeitnehmer, für die die KAV 1997 keine Übergangsregelung enthält und die folglich keine Leistungen nach der KAV 1997 erhalten sollten, wurden entsprechend den Vorgaben des ZVG 1997 zum 1. Januar 1997 bei der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse Darmstadt – Anstalt des öffentlichen Rechts – (im Folgenden Zusatzversorgungskasse) angemeldet; deren Leistungen bestimmen sich nach der jeweils gültigen Satzung. Diese sah entsprechend der Regelung, die die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes für die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) für die neuen Bundesländer und den östlichen Teil Berlins mit Wirkung zum 1. Januar 1997 getroffen hatten, ab diesem Zeitpunkt die Gewährung einer Gesamtversorgung vor. Der Evangelisch-Lutherische Kirchgemeindeverband D meldete die Klägerin zum 1. Januar 1997 bei der Zusatzversorgungskasse an und erbrachte in der Folge die entsprechenden Umlagen.

6

Das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeindeverband D endete mit Ablauf des 30. April 2007 nach Erreichen der Regelaltersgrenze. Seit dem 1. Mai 2007 bezieht die Klägerin eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie – ausweislich einer Rentenmitteilung vom 5. Juni 2007 – aus der Zusatzversorgungskasse eine monatliche Versorgungsrente, die zum Zeitpunkt des Renteneintritts 73,96 Euro brutto betrug und einer satzungsgemäßen Dynamisierung unterliegt.

7

Der Evangelisch-Lutherische Kirchgemeindeverband D wurde mit Beschluss der Verbandsversammlung vom 12. Oktober 2006 aufgelöst und in der Folge bis zum 29. September 2008 liquidiert.

8

Bereits in einem in den Jahren 2010 bis 2012 geführten Rechtsstreit hatte die Klägerin die Beklagten zu 1. und 2. gerichtlich auf Zahlung eines (zusätzlichen) Treuegeldes nach der VKAV 1994 in Anspruch genommen. Neben bezifferten Zahlungsanträgen für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis 31. Juli 2011 war dabei verfahrensgegenständlich ihr Antrag festzustellen, „dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr über den 31. August 2011 hinaus Treuegeld nach der Verordnung über die Treuegeldgewährung (VKAV) unter Anpassung der jeweiligen Höhe entsprechend den Regelungen des Gesetzes zur Verbesserung der Betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) zu zahlen“. Mit Urteil vom 24. August 2011 (- 10 Ca 4101/10 -) wies das Arbeitsgericht Dresden die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin wies das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 19. April 2012 (- 9 Sa 569/11 -) zurück und ließ die Revision nicht zu. Zur Begründung führte das Sächsische Landesarbeitsgericht dabei zusammengefasst aus, die Ansprüche aus der VKAV 1994 seien durch die Neuregelung der Versorgungsansprüche zum 1. Januar 1997 wirksam abgelöst worden; das dreistufige Prüfungsschema, wonach den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen sind, finde keine Anwendung, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Ablösung noch keine unverfallbaren Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erworben habe. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom Senat mit Beschluss vom 13. November 2012 (- 3 AZN 1411/12 -) zurückgewiesen.

9

In einem weiteren Rechtsstreit, in dem eine andere Klägerin die Beklagte zu 1. auf eine höhere Mindestversorgung nach der VKAV 1994 in Anspruch nahm, gab der Senat mit Urteil vom 14. Juli 2015 (- 3 AZR 517/13 -) der Klage statt. Dabei führte der Senat ua. aus, die Ablösung der VKAV 1994 durch § 24 Satz 2 KAV 1997 und das ZVG 1997 iVm. den am 1. Januar 1997 geltenden Satzungsbestimmungen der Zusatzversorgungskasse verstoße gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit, wie sie durch das dreistufige Prüfungsschema des Bundesarbeitsgerichts konkretisiert seien; der Anwendbarkeit des dreistufigen Prüfungsschemas stehe nicht entgegen, dass die Anwartschaft der dortigen Klägerin auf Versorgungsleistungen am 1. Januar 1997 noch nicht unverfallbar gewesen sei.

10

Im Nachgang zu der Senatsentscheidung vom 14. Juli 2015 wurde die KAV 1997 durch die „Verordnung zur Änderung der Ordnung über die Kirchliche Altersversorgung (KAV)“ vom 18. Oktober 2016 (ABl. S. A 195) geändert (im Folgenden KAV 2016). Diese bestimmt ua.:

        

§ 1   

        

1.    

§ 1 wird wie folgt geändert:

                 

a)    

Der Absatz 2 Buchstabe e abschließende Punkt wird durch ein Komma ersetzt und folgender Buchstabe f angefügt:

                          

‚f) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ehemalige und ausgeschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Dienstverhältnis am 1. Januar 1997 unter den Geltungsbereich der Kirchlichen Dienstvertragsordnung (KDVO) fiel, die darüber hinaus die Voraussetzungen der Buchstaben a bis e nicht erfüllen und bei denen die Leistungen einer kirchlichen Zusatzversorgungskasse hinter denen, die durch die Verordnung über die Treuegeldgewährung an kirchliche Mitarbeiter als Kirchliche Altersversorgung (VKAV) in der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung gewährt werden könnten, zurückbleiben.‘

                 

…       

        
        

4.    

Abschnitt IV wird wie folgt gefasst:

                          
                 

‚Abschnitt IV Ergänzungsleistungen

                 

§ 23 Ergänzungsleistung nach § 1 Absatz 2 Buchstabe f

                 

(1) Die Leistungen für anspruchsberechtigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach § 1 Abs. 2 Buchstabe f werden in der Höhe gewährt, in der die Leistungen einer kirchlichen Zusatzversorgungskasse im Einzelfall hinter denen, die durch die Verordnung über die Treuegeldgewährung an kirchliche Mitarbeiter als Kirchliche Altersversorgung (VKAV) in der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung beansprucht werden könnten, zurückbleiben. Hierzu wird zunächst der Anspruch auf Kirchliche Altersversorgung ermittelt, der sich nach der VKAV unter Berücksichtigung der tatsächlichen Dienstzeit ergeben hätte. Geht dieser Anspruch über die tatsächlichen Leistungen einer kirchlichen Zusatzversorgungskasse hinaus, wird die Differenz als Ergänzungsleistung gewährt. Nach Beginn der Zahlung erhöht sich die Ergänzungsleistung jeweils zum 1. Juli eines Jahres um 1 Prozent.

                          
                 

(2) Bei Beantragung der Ergänzungsleistung nach Absatz 1 sind sowohl die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung durch Vorlage des Rentenbescheides als auch die Leistungen der kirchlichen Zusatzversorgungskasse durch Vorlage des Leistungsbescheides jeweils zum Zeitpunkt des Rentenbeginns nachzuweisen.

                          
                 

(3) Der Barwert der Ergänzungsleistung wird auf Antrag oder wenn die monatliche Ergänzungsleistung 20 Euro nicht überschreitet als Einmalbetrag ausgezahlt.“

11

Mit anwaltlichem Schreiben an das Landeskirchenamt vom 20. Dezember 2017 forderte die Klägerin unter Hinweis auf die Änderung der KAV „die Auszahlung der weiteren Altersversorgung rückwirkend seit Rentenbeginn“. Hierauf antwortete das Landeskirchenamt mit Schreiben vom 23. Januar 2018 unter Hinweis auf ein beigefügtes Berechnungsblatt, dass ein monatlicher Anspruch auf Ergänzungsleistung nach § 23 Abs. 1 KAV 2016 iHv. 18,20 Euro bestehe, der gemäß § 23 Abs. 3 KAV 2016 als Einmalbetrag iHv. 2.485,72 Euro ausgezahlt werde. Diese Zahlung ging am 31. Mai 2021 auf dem Konto der Klägerin ein.

12

Mit ihrer im vorliegenden Verfahren im November 2020 erhobenen Klage hat die Klägerin die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer kirchlicher Altersversorgung iHv. insgesamt 3.075,56 Euro brutto nebst Zinsen für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Oktober 2020 begehrt.

13

Sie hat geltend gemacht, sie habe weiterhin Anspruch auf die volle Mindestversorgung auf Grundlage der VKAV 1994 für den Zeitraum bis einschließlich 1996 ohne Anrechnung der neuen, ab 1997 eingeführten Altersversorgung. In ihre aus der VKAV 1994 rührenden bis Ende 1996 angesparten Ansprüche habe durch das ZVG 1997 nicht wirksam eingegriffen werden können, weil ihr in der durch dieses ab 1. Januar 1997 eingeführten Versorgung über die Zusatzversorgungskasse keine Startgutschrift erteilt worden sei. Bei der Berechnung ihrer Ansprüche nach dem ZVG 1997 würden ihre Dienstzeiten von 1988 bis Ende 1996 nicht berücksichtigt. Für den nach dem ZVG 1997 nicht berücksichtigten Zeitraum bis zum 31. Dezember 1996 habe sie nach § 10 VKAV 1994 Anspruch auf eine Mindestversorgung iHv. 42,65 Euro monatlich (10,00 DM = 5,12 Euro x 8,33 Dienstjahre). Diese Mindestrente sei nach § 20 KAV 1997 entsprechend der Rentenanpassung in den neuen Bundesländern zu dynamisieren. Auf die sich aus der Dynamisierung des Betrags iHv. 42,65 Euro jeweils ab dem 1. Januar 2017 ergebenden monatlichen Beträge iHv. zwischen 69,31 Euro und 80,39 Euro habe sie jeweils den seitens der Beklagten nach § 23 Abs. 1, 3 KAV 2016 gezahlten monatlichen Betrag iHv. 18,20 Euro angerechnet und so für den Klagezeitraum eine Forderung von insgesamt 3.075,56 Euro errechnet. Hierfür hafteten nach Auflösung des Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeindeverbands D die Beklagten. Die rechtskräftige Klageabweisung im Vorprozess stehe der Zulässigkeit der vorliegenden Klage nicht entgegen. Das Urteil des Senats vom 14. Juli 2015 (- 3 AZR 517/13 -) und die anschließende Änderung der KAV 1997 hätten zu einer geänderten Rechtslage geführt und der früheren Klageabweisung bezogen auf künftige Ansprüche die Grundlage entzogen. Zudem werde im vorliegenden Verfahren im Unterschied zum vorhergehenden Rechtsstreit eine Dynamisierung der Mindestversorgung geltend gemacht und eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung von langjährigen und erst ab 1. Januar 1997 neu eingestellten Arbeitnehmern gerügt.

14

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

        

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 3.075,56 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich aus jeweils 51,11 Euro seit dem jeweiligen Monatsersten beginnend ab dem 1. Februar 2017 und endend mit dem 1. Juli 2017, aus weiteren jeweils 53,60 Euro seit dem jeweiligen Monatsersten beginnend ab dem 1. August 2017 und endend mit dem 1. Juli 2018, aus weiteren jeweils 56,02 Euro seit dem jeweiligen Monatsersten beginnend ab dem 1. August 2018 und endend mit dem 1. Juli 2019, aus weiteren jeweils 58,94 Euro seit dem jeweiligen Monatsersten beginnend ab dem 1. August 2019 und endend mit dem 1. Juli 2020 und aus weiteren jeweils 62,18 Euro seit dem jeweiligen Monatsersten beginnend ab dem 1. August 2020 und endend mit dem 1. November 2020 zu zahlen.

15

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Klage sei aufgrund der rechtskräftigen Abweisung des im Vorverfahren gestellten Feststellungsantrags unzulässig. Unabhängig davon seien sie für den geltend gemachten Anspruch nicht passivlegitimiert. Jedenfalls stünden der Klägerin keine weitergehenden Versorgungsansprüche mehr zu.

16

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagten begehren die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist insgesamt unzulässig.

18

I. Der Zulässigkeit der Klage steht die rechtskräftige Abweisung des Feststellungsantrags im Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 19. April 2012 (- 9 Sa 569/11 -) entgegen.

19

1. Die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung (§ 322 Abs. 1 ZPO) steht – als von Amts wegen zu beachtende negative Prozessvoraussetzung – einer neuen Verhandlung und Entscheidung über denselben Streitgegenstand entgegen (ne bis in idem). Wird in einem nachfolgenden Prozess über den identischen prozessualen Anspruch oder dessen kontradiktorisches Gegenteil gestritten, ist diese Klage unzulässig (vgl. BAG 29. September 2020 – 9 AZR 113/19 – Rn. 17; 21. Mai 2019 – 9 AZR 579/16 – Rn. 28). Dies gilt auch, wenn im Zweitprozess eine andere Klageart gewählt wird (BAG 2. Dezember 2021 – 3 AZR 123/21 – Rn. 30, BAGE 176, 283; BGH 22. November 1988 – VI ZR 341/87 – zu II 2 der Gründe). Der ausschlaggebende Abweisungsgrund bei einer klageabweisenden Entscheidung wird Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und ist nicht allein Element der Entscheidungsbegründung (vgl. BAG 2. Dezember 2021 – 3 AZR 123/21 – aaO mwN).

20

2. Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird, bestimmt (BAG 2. Dezember 2021 – 3 AZR 123/21 – Rn. 31, BAGE 176, 283; 28. Mai 2013 – 3 AZR 266/11 – Rn. 18). Der Streitgegenstand ergibt sich also nicht allein aus dem Antragsziel. Die Einheitlichkeit des Klageziels genügt deshalb nicht, um einen einheitlichen Streitgegenstand anzunehmen. Vielmehr muss auch der Klagegrund identisch sein (BAG 2. Dezember 2021 – 3 AZR 123/21 – aaO; 19. November 2019 – 3 AZR 281/18 – Rn. 45, BAGE 168, 345). Zu diesem sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt (BAG 18. Februar 2020 – 3 AZR 492/18 – Rn. 23, BAGE 170, 12).

21

3. Danach steht das rechtskräftige Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 19. April 2012 (- 9 Sa 569/11 -) einer gerichtlichen Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit entgegen. Die Streitgegenstände unterscheiden sich nicht.

22

a) Das Sächsische Landesarbeitsgericht hat im Vorprozess mit rechtskräftigem Urteil vom 19. April 2012 (- 9 Sa 569/11 -) neben dem (nicht den der Klageforderung im vorliegenden Verfahren zugrunde liegenden Zeitraum betreffenden) Zahlungsantrag auch den Antrag der Klägerin abgewiesen, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr über den 31. August 2011 hinaus Treuegeld nach der VKAV 1994 unter Anpassung der jeweiligen Höhe entsprechend den Regelungen des Gesetzes zur Verbesserung der Betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) zu zahlen. Damit ist das Nichtbestehen von Ansprüchen auf Treuegeld nach der VKAV 1994 über den 31. August 2011 hinaus gegen die Beklagten rechtskräftig festgestellt.

23

b) Dieser Streitgegenstand ist mit dem Gegenstand der vorliegenden Klage identisch.

24

aa) Gegenstand auch des vorliegenden Verfahrens sind gegen dieselben Beklagten gerichtete Ansprüche auf Treuegeld nach der VKAV 1994 für den (nach dem 31. August 2011 liegenden) Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Oktober 2020. Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klage – ebenso wie im Vorprozess – geltend gemacht, sie habe weiterhin Anspruch auf die Mindestversorgung auf Grundlage der VKAV 1994 für den Zeitraum bis einschließlich 1996 ohne Anrechnung der ab 1997 eingeführten Altersversorgung. In ihre bis Ende 1996 aus der VKAV 1994 angesparten Ansprüche habe durch das ablösende Versorgungssystem nach dem ZVG 1997 nicht wirksam eingegriffen werden können, ua. weil ihr in der durch dieses ab 1. Januar 1997 eingeführten Versorgung über die Zusatzversorgungskasse keine Startgutschrift erteilt worden sei und bei der Berechnung ihrer Ansprüche nach dem ZVG 1997 ihre Dienstzeiten von 1988 bis Ende 1996 nicht berücksichtigt würden. Der in § 1 Abs. 2 Buchst. a KAV 1997 geregelte Ausschluss des Anspruchs auf Mindestrente für diesen Zeitraum sei unzulässig. Die danach bis Ende 1996 erdienten Ansprüche seien ihr nicht genommen worden, weil die Regelungen der VKAV 1994 nicht wirksam abgelöst worden seien. Das Treuegeld sei „nach § 21 Abs. 2 VKAV 1994 jeweils zum Letzten eines Monats für den laufenden Monat (Zahltag) eingehend, erstmals im Monat des Renteneintritts, zu zahlen“. Zur Berechnung ihrer Klageforderung hat die Klägerin ausgeführt, sie habe für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1996 „nach § 10 VKAV 1994“ Anspruch auf eine Mindestversorgung iHv. 42,65 Euro monatlich (10,00 DM = 5,12 Euro x 8,33 Dienstjahre), die dynamisiert und unter Abzug erhaltener Ergänzungsleistung für den Klagezeitraum den Klagebetrag ergebe. Das macht deutlich, dass die Klägerin ihren Klageanspruch – wie im Vorprozess – auf die ihrer Auffassung nach nicht wirksam abgelöste VKAV 1994 stützt.

25

bb) Auf §§ 1 und 23 KAV 2016 – und dadurch ggf. auf einen anderen Lebenssachverhalt als im Vorprozess – hat die Klägerin ihre Klage hingegen nicht (auch) gestützt. Zwar hat sie auf Seite 5 ihres erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 14. April 2021 ausgeführt, es stelle sich die Problematik, ob die ursprünglichen Ansprüche auf Zahlung der Mindestversorgung bei der Vergleichsberechnung zu dynamisieren seien oder nicht; seien sie zu dynamisieren, könne „sich der Klageanspruch zumindest teilweise bereits auf der Grundlage des neuen § 1 Abs. 2 f) KAV als Ergänzungsleistung nach § 23 KAV ergeben“. Diese Ausführungen lassen jedoch nicht hinreichend erkennen, dass die Klägerin einen anderen Streitgegenstand in den Rechtsstreit einführen wollte. Dagegen spricht schon, dass ein etwaiger auf die KAV 2016 gestützter Anspruch von ihr nicht berechnet wurde. Die Klägerin hat vielmehr auch im Schriftsatz vom 14. April 2021 an ihrer bisherigen Argumentationslinie festgehalten und diese lediglich um weitere rechtliche Erwägungen ergänzt. So hat sie unmittelbar im Anschluss an die zitierte Passage ausdrücklich klargestellt, dass sie in der Vergleichsberechnung nach der KAV 2016 eine fehlerhafte Umsetzung des Senatsurteils vom 14. Juli 2015 sieht. Das macht deutlich, dass auch diese Argumentation darauf abzielt, selbst unter Einschluss der Ergänzungsleistung nach der KAV 2016 seien ihre nach der VKAV 1994 begründeten Ansprüche nicht wirksam abgelöst worden. Den Ausführungen in der Berufungsbegründung ist nichts anderes zu entnehmen.

26

cc) Es kann dahinstehen, ob der Vortrag der Klägerin in der Revisionsinstanz dahin zu verstehen ist, dass sie nunmehr Ergänzungsleistungen auf Grundlage von § 23 KAV 2016 geltend macht. Die hierin liegende Einführung eines neuen Streitgegenstands stellte eine im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht zulässige Klageerweiterung dar oder stünde ihr zumindest gleich (vgl. BAG 20. März 2024 – 5 AZR 161/23 – Rn. 23).

27

c) Der Identität der Streitgegenstände steht nicht entgegen, dass die Klägerin im vorliegenden Verfahren ihren Anspruch (auch) auf eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes stützt. Sie hat die behauptete Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in beiden Verfahren geltend gemacht und identisch begründet. Die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung im Vorprozess hat sich mit dieser Anspruchsgrundlage auseinandergesetzt und einen entsprechenden Anspruch abgelehnt. Auch dieser Streitgegenstand ist damit von der Rechtskraftwirkung der Entscheidung im Vorprozess erfasst.

28

d) Der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens unterscheidet sich nicht dadurch von dem des Vorprozesses, dass die Klägerin im vorliegenden Verfahren eine Dynamisierung der Mindestversorgung nach der VKAV 1994 geltend macht.

29

aa) Die Dynamisierung der Mindestversorgung nach der VKAV 1994 anhand der Rentenentwicklung hatte die Klägerin im Rahmen der dortigen Zahlungsanträge auch im Vorprozess verlangt. Allerdings war diese Frage nach der im Vorprozess gewählten Antragsformulierung nicht ausdrücklich Gegenstand des Feststellungsantrags.

30

bb) Es kann dahinstehen, ob die Dynamisierung der Mindestversorgung damit auch nicht Gegenstand der Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 19. April 2012 (- 9 Sa 569/11 -) über die Abweisung des Feststellungsantrags war. Denn selbst dann, wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, stünde das der Unzulässigkeit der vorliegenden Klage nicht entgegen. Die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens von Ansprüchen nach der VKAV 1994 über den 31. August 2011 hinaus erstreckte sich auf deren etwaige Dynamisierung.

31

(1) Die jede neue Verhandlung und Entscheidung über denselben Anspruch ausschließende materielle Rechtskraft eines Urteils reicht nach § 322 Abs. 1 ZPO zwar grundsätzlich nur soweit, wie über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Hat ein Kläger im vorangegangenen Prozess nur einen Teilanspruch geltend gemacht, so erfasst die Rechtskraft des Urteils nur diesen Teil des Anspruchs und erstreckt sich nicht auf den nicht eingeklagten restlichen Anspruch. Voraussetzung ist allerdings, dass der nur zum Teil eingeklagte Anspruch seiner Natur nach teilbar ist (BGH 13. April 2016 – XII ZB 578/14 – Rn. 8; 15. Juni 1994 – XII ZR 128/93 – zu I 1 der Gründe).

32

(2) Der Anspruch auf Versorgungsleistungen auf Grundlage der VKAV 1994 selbst und der Anspruch auf Dynamisierung dieser Versorgung sind ihrer Natur nach nicht teilbar. Besteht – wie vorliegend rechtskräftig festgestellt – kein Anspruch auf die Versorgungsleistung selbst, kann und muss eine solche auch nicht dynamisiert werden (vgl. BAG 9. Mai 2023 – 3 AZR 226/22 – Rn. 47).

33

e) Die Rechtskraftwirkung des Urteils des Sächsischen Landesarbeitsgerichts ist – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat – nicht durch nachträgliche Entwicklungen durchbrochen.

34

aa) In zeitlicher Hinsicht ist die Rechtskraft nicht begrenzt. Eine formell rechtskräftig gewordene Entscheidung entfaltet auf Dauer materielle Rechtskraft. Eine Beendigung der eine erneute Entscheidung sperrenden Rechtskraft kommt jedoch in Betracht, wenn sich die maßgebenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben (vgl. zum arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren BAG 18. November 2020 – 7 ABR 37/19 – Rn. 13, BAGE 173, 46; 26. Juni 2018 – 1 ABR 37/16 – Rn. 37, BAGE 163, 108). Dabei rechtfertigt eine nachträglich eingetretene Tatsache eine neue abweichende Entscheidung nur dann, wenn sie denjenigen Sachverhalt verändert hat, der in dem früheren Urteil als für die ausgesprochene Rechtsfolge maßgebend angesehen worden ist; bei dieser Beurteilung ist von den Entscheidungsgründen des rechtskräftigen Urteils auszugehen und zu prüfen, ob die neu entstandene Tatsache die dort bejahten oder verneinten Tatbestandsmerkmale beeinflusst (BGH 16. Oktober 2020 – V ZR 98/19 – Rn. 27; BAG 20. März 1996 – 7 ABR 41/95 – zu B II 4 der Gründe, BAGE 82, 291).

35

bb) Das Sächsische Landesarbeitsgericht hatte im Vorprozess Ansprüche der Klägerin auf Treuegeld nach der VKAV 1994 mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Ablösung der VKAV Ende 1996 noch keine unverfallbare Anwartschaft auf Leistungen nach der VKAV 1994 erworben; Weder die Entscheidung des Senats vom 14. Juli 2015 (- 3 AZR 517/13 -) noch die Änderung der KAV 1997 durch die KAV 2016 haben an den insoweit zugrunde gelegten Umständen etwas geändert.

36

(1) Zwar hat der Senat in einem anderen Rechtsstreit im Urteil vom 14. Juli 2015 (- 3 AZR 517/13 -) unter ausdrücklicher Abgrenzung von der Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts im Vorprozess der Parteien des vorliegenden Verfahrens angenommen, der Anwendbarkeit des dreistufigen Prüfungsschemas stehe nicht entgegen, dass die Anwartschaft der Klägerin auf Versorgungsleistungen nach der VKAV 1994 im Zeitpunkt der Ablösung durch die KAV 1997 am 1. Januar 1997 nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung noch nicht unverfallbar war (BAG 14. Juli 2015 – 3 AZR 517/13 – Rn. 41). Dadurch änderten sich aber nicht die tatsächlichen Umstände, die der Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts im Vorprozess zugrunde lagen. Auch änderte sich durch diese Entscheidung nicht nachträglich die Rechtslage (vgl. dazu etwa MüKoZPO/Gottwald 6. Aufl. ZPO § 322 Rn. 158).

37

(2) Ebenso wenig ist eine Änderung des für die Entscheidung im Vorprozess maßgeblichen Sachverhalts dadurch eingetreten, dass Änderungen an der KAV 1997 vorgenommen wurden. Auch diese haben die tatsächlichen Umstände, die im Vorprozess als für die ausgesprochene Rechtsfolge – das Nichtbestehen von Ansprüchen aus der VKAV 1994 – maßgebend angesehen worden sind, nicht geändert. Für die Annahme des Sächsischen Landesarbeitsgerichts, das dreistufige Prüfungsschema komme nicht zur Anwendung, weil die Klägerin noch keine unverfallbaren Anwartschaften erworben habe, ist die Neuregelung in der KAV 2016 nicht relevant.

38

II. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist allerdings wegen des von Amts wegen zu beachtenden Verstoßes gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO insoweit zu korrigieren, wie es über einen Anspruch der Klägerin auf Grundlage von §§ 1, 23 KAV 2016 entschieden hat. Das Berufungsurteil ist daher – ohne dass es eines förmlichen Entscheidungsausspruchs bedurfte – zu berichtigen (vgl. BAG 22. Juli 2021 – 2 AZR 6/21 – Rn. 47 mwN). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist insoweit gegenstandslos, wie die Klage wegen dieses Anspruchs abgewiesen wurde (vgl. BAG 18. September 2019 – 5 AZR 240/18 – Rn. 12, BAGE 168, 25). Der Tenor der Entscheidung erweist sich dabei im Ergebnis als zutreffend und bedarf keiner Berichtigung.

39

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

        

    Rachor    

        

    Roloff    

        

    Waskow    

        

        

        

    Schultz    

        

    K. Schminke